Leseprobe

Komponist und Politiker

Johann Peter und Catharina Schliebusch wussten zu feiern. Sie waren rheinische Frohnaturen. Möglicherweise zeigte sich hier der kölsche Einfluss der eingeheirateten Verwandtschaft?

Mein Vater erzählte mir häufig, dass mein Großvater viel selbst komponiert habe. Er erinnerte sich daran, wie mein Opa am Feierabend Klavier spielte und seine Kompositionen notierte. Er übernahm sogar Auftragsarbeiten für Feste in Lannesdorf. Mein Großvater Johann Peter zeigte sich voll integriert im Dorf und vollends respektiert als Kompositeur. Nachbarn und Freunde bestellten bei ihm Märsche für Dorffeste, Hochzeiten, Familienfeste sonstiger Art, aber auch für Vereinsjubiläen der Freiwilligen Feuerwehr. Als eifrigster Fürsprecher der Schliebuschchen Kompositionen erwies sich der Kapellmeister der Lannesdorfer Musikkapelle.

Ein Auftrag bei Johann Peter Schliebusch kam billiger als der Kauf von Notenblättern. Dennoch wäre es übertrieben, das Komponieren als Zusatzgeschäft zu betrachten. Wenn überhaupt, nahm mein Großvater allenfalls eine Kleinigkeit für seine Märsche. Mein Vater fragte seinen Vater Johann Peter einmal: »Warum machst du das?« Darauf erwiderte dieser: »Ganz einfach, meine Noten sind billiger, als wenn ich ins Notengeschäft gehe, um mir Noten zu kaufen.« Fotokopierer gab es damals ja noch nicht. »Großvater spielte aber in erster Linie aus Freude«, erklärte mein Vater weiter. »Er strahlte, wenn er am Klavier saß.«

Mein Opa soll im ersten Weltkrieg in einer Musikkapelle gespielt und zudem weitere Instrumente beherrscht haben. Ich erinnere nicht genau, von welchem Blasinstrument mein Vater seinerzeit sprach. Johann Peter habe ein Instrument gespielt, für das man »schmale Lippen« brauche, erzählte er einmal. Ich vermute, dass es sich um eine Posaune oder ein Horn handelte.

Musik brachte meinem Großvater in erster Linie Anerkennung. Er war gesellig und wohnte gelegentlich den Uraufführungen seiner »Werke« bei, insbesondere dann, wenn der Kapellmeister der Lannesdorfer Musikkapelle einen Marsch von Johann Peter intonierte. Als mein Vater einmal mit meinem Großvater ins Festzelt ging, brach der Kapellmeister das gerade gespielte Musikstück ab und spielte zur Ehre meines Großvaters eine seiner Kompositionen. Dieser Moment beeindruckte meinen Vater nachdrücklich. Die Geschichte schilderte er mir im Laufe seines Lebens mehrere Male. Allein, es handelte sich um Unterhaltungsmusik, der offenbar Johann Peter Schliebusch selbst keine allzu große Bedeutung für die Ewigkeit zumaß. So starb seine Musik mit ihm. Denn leider liegt mir und lag auch schon meinem Vater keine einzige Partitur vor. Wir haben das unendliche Male bedauert.

Meinem Großvater galten Rhythmus und Takt als heiliges Gesetz. Mein Vater, weit von militärischer Präzision entfernt, litt sehr unter dieser »taktvollen« Penetranz. Wenn Johann Peter seinen Sohn zu seinen kompositorischen Exkursen rief und von ihm verlangte, den neuen Marsch auf dem Klavier zu spielen, kam es regelmäßig zu Unstimmigkeiten – etwa, wenn Josef bei lustigen Stücken schneller und bei getragenen langsamer im Tempo wurde. Mit Grauen erzählte mir mein Vater, wie penibel sein ansonsten weitherziger Vater beim Klavierspielen auf den Takt achtete. Da er selbst hierfür kein Gefühl gehabt habe, sei dies für ihn eine stetige Tortur gewesen, die ihm schließlich das Klavierspielen gänzlich verleidet habe. Ferner begründete Opa Johann Peter in meinem Vater eine unterbewusste Abwehrhaltung gegen lautstark auf dem Klavier vorgetragene Musikstücke. Man sah ein leichtes Zucken bei ihm, wenn er sich bei der einen oder anderen Gelegenheit mit einer pianistischen Situation konfrontiert sah. Auch sorgte dieses Takthalten um jeden Preis für eine Aversion gegen Marschmusik und gegen das Militärische überhaupt.

Neben seinem musikalischen Interesse besaß mein Opa auch eine rhetorische Ader. Er engagierte sich aktiv in der Kommunalpolitik. Johann Peter Schliebusch war in Lannesdorf eine angesehene Persönlichkeit. Er zeigte sich sehr interessiert an der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Ortes. Mein Vater erzählte mir häufig davon, dass es zu Hause durchaus lebhaft zugegangen sei.

Außerdem betrieben mein Großvater und insbesondere Großmutter Catharina ja (vermutlich) ihr Lebensmittelgeschäft. Man konnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden – ein kleiner Plausch und gleichzeitiges Einkaufen. Die Zeiten Mitte der 1920er Jahre waren sicherlich wirtschaftlich schwierig, dennoch scheint mir, dass im Hause meiner Großeltern ein zufriedenes, aufgeschlossenes Leben geführt wurde. Man nahm sich Zeit für die kleinen Dinge.

Ferner bekannten sich meine Großeltern zur katholischen Kirche. Der Besuch des Gottesdienstes stand selbstverständlich an jedem Sonn- und Feiertag an. »Ja, ich durfte lediglich am 1. Mai und am Karfreitag ausschlafen, weil es an diesen beiden Feiertagen keine Frühmesse gab«, erzählte mein Vater leicht gequält, ansonsten hieß es: »Raus aus den Federn und ab in die Messe!« Dabei verstand Großmutter Catharina keinen Spaß. Der Glaube spielte eine große Rolle im Haus in Lannesdorf, man nahm aktiv teil und spendete der Kirche regelmäßig. Einmal soll es eine große Kommunionsbank gewesen sein, die meine Großeltern der Lannesdorfer Kirche stifteten.

Ich kann heute nicht mehr genau nachvollziehen, welchen Vereinen oder Organisationen sich mein Großvater sonst noch verschrieb. Ich weiß allerdings, dass Johann Peter Schliebusch zu den Gründungsvätern der Freiwilligen Feuerwehr Mehlem-Lannesdorf zählte (gegründet am 5. Mai 1906). Er fand sich dabei in bester Gesellschaft, die Schliebuschs aus Lannesdorf stellten einen beachtlichen Teil des Löschzugs der beiden Nachbargemeinden. Mit Sicherheit ausschließen lässt sich die Beteiligung meines Großvaters am Geschehen der Sportvereine in Lannesdorf. Er vertrat die Auffassung, dass ausreichend Sport bei der körperlichen Arbeit betrieben werde. »Sport bei der Arbeit!« lautete sein Wahlspruch und er erlaubte nicht, dass mein Vater nachmittags Fußball spielte, was er sehr gerne getan hätte. Es ist schwer vorstellbar, dass sich Großvater Johann Peter bei einer derart dem Sport abgewandten Haltung in einem Sportverein engagiert hätte.