Leseprobe

Josefs Jugend und Ausbildung

Mein Vater half meinem Großvater Johann Peter schon als Junge bei dessen Kolonialwaren-Großhandel. Er schleppte Kisten in die Lager in Lannesdorf, belud gemeinsam mit meinem Opa und seinen Mitarbeitern den LKW und saß manchmal bei der Auslieferung an Kunden auf dem Beifahrersitz. Wenn er mich später mit zu seinen Kunden nahm, sprach er manchmal von dieser Zeit und wie er sich freute, wenn er gemeinsam mit seinem Vater Johann Peter Waren ausfuhr. »Praxis ist der beste Lehrmeister«, sagte er. »Deshalb ist wichtig, dass auch du von vorneherein weißt, wie die Arbeit zu machen ist«. Obwohl mein Vater in jungen Jahren schon in der Firma seines Vaters half, und dies mit großem Einsatz, verfügte mein Opa, dass Josef Schliebusch neben der praktischen Ausbildung in der elterlichen Firma die kaufmännischen Grundlagen in einer Ausbildung erlangen sollte.

Mein Vater stimmte dem mit Freuden zu. Voller Stolz sprach er von den Zeiten seiner Lehre. Er empfand dies nach der Mittleren Reife (1929) als einen ersten Schritt in Freiheit und Selbständigkeit. »Das ist eine sehr wichtige Sache, Udo«, bedeutete er mir manchmal. »Du stehst plötzlich allein da und niemand schaut nach dir!« Mein Vater absolvierte seine Ausbildung bei der Lebensmittel-Importfirma Carl Brügelmann in Köln. Er sprach sehr viel Gutes über die Firma, bei der er gelernt hatte. »Das war schon etwas anderes in einem so großen Betrieb«, schwärmte er, »und in einer solch großen Stadt.« Die bedingt durch die Erlangung der Mittleren Reife verkürzte Lehre dauerte von April 1929 bis Oktober 1931.

Aus den Erzählungen meines Vaters ging hervor, dass er insbesondere von der Führung begeistert war – eine Erfahrung, die ihn für sein Leben prägen sollte. Er lobte das Betriebsklima bei Brügelmann und dass alles mit Umsicht und Gerechtigkeit von Statten ging. Die Mitarbeiter behandelte man in diesem Kölner Unternehmen offenbar – ungewöhnlich für die damalige Zeit – mit Respekt und Recht auf eine eigene Meinung.

In dieser »Kölner Zeit« pflegte »Kaffeeopa« Josef intensive Kontakte zur Kölner Verwandtschaft. Einer der Verwandten besaß in Köln eine der vielen kleinen Familienbrauereien, die im Krieg zerstört wurden. Von einem Onkel erzählte er besonders häufig. Der hatte einen Bekannten, der noch vor dem Krieg das Amt der Jungfrau im Kölner Karneval übernahm, was schon damals horrende Summen verschlang.

Josef genoss das Kölner Leben in vollen Zügen. Wenn wir gelegentlich in späteren Jahren mit dem Auto durch die Domstadt fuhren, sprach er oft von dieser Zeit und zeigte mir das eine oder andere Stadtgebiet.

 

Zurück nach Lannesdorf

Nach der Lehre zog es meinen Vater wieder nach Hause, zurück nach Lannesdorf. Mit 20 Jahren kehrte er als ausgebildeter Kaufmann zurück in die Firma seines Vaters. Fünf Jahre verbrachten die beiden dort gemeinsam. Josef Schliebusch nutzte die Zeit, um seine bei Brügelmann erlernten Kenntnisse in der Praxis zu erweitern.

Mein Vater brachte die neuen Ideen aus seiner Ausbildung in Köln ein und sprach selbstverständlich mit meinem Opa darüber. Johann Peter betrachtete alle Neuerungen zunächst mit einer gewissen Skepsis, fühlte jedoch andererseits einen gewissen Stolz, dass sein Junge rund um den Lebensmittelgroßhandel derart bewandert war.

Mein Vater bezeichnete dies später als eine lehrreiche Zeit, in der sein Vater Johann Peter seine Anregungen zuerst abgelehnt, den Verbesserungen aber später nach und nach zugestimmt hatte. »Natürlich ohne zuzugeben, dass ich Recht hatte«, zwinkerte mein Vater, »sondern ganz so, als hätte er diese oder jene Verbesserung schon von langer Hand geplant.«
Nach den Erzählungen meines Vaters war das Verhältnis zwischen den beiden sehr positiv und von gegenseitiger Achtung geprägt. Johann Peter Schliebusch zählte nicht zu den autoritären Menschen; er nahm das Leben mit einem Schuss Humor und neckte den manchmal zu übertriebener Ernsthaftigkeit neigenden Josef nicht selten. Sobald es nämlich ums Geschäft ging, verstand mein Vater keinen Spaß.

Das Ende dieses sich gegenseitig ergänzenden Duos kam viel zu früh. Mein Opa starb am 20. September 1936 mit gerade einmal 56 Jahren. Es war eine weitere Katastrophe für Josef, der bereits mit 20 Jahren, am 21. Dezember 1931, seine Mutter Catharina verloren hatte. Er trauerte sehr um den geschätzten und geliebten Vater.

Am 22. Dezember 1936 übernahm Josef im Alter von 25 Jahren gemeinsam mit seiner Schwester Maria den Betrieb und musste plötzlich als Herr des Hauses viel Verantwortung tragen. Die Geschwister tätigten die ersten Anschaffungen, gewannen die ersten gemeinsamen Kunden und waren auf einem guten Weg. Die Umstellung auf die vollkommene Selbstständigkeit glückte sehr gut. Josef und Maria sollten drei gute Jahre haben, bevor sich mit einem Mal alles änderte – Krieg!