Leseprobe

Meine Großeltern in Lannesdorf – Die Familie

Bevor ich von meinem Vater Josef Schliebusch berichte, über »Kaffeeopa«, wie ihn seine Enkel nannten, wende ich mich ein wenig in der Zeit zurück. Ich möchte die Geschichte der Schliebuschs mit meinen Großeltern beginnen. Viele Geschehnisse lassen sich aus dem Fluss der Geschichte heraus verständlicher darstellen. Manche Zusammenhänge erschließen sich besser aus der Tradition.

Es war nicht ganz einfach, sichere Informationen über meine Großeltern zu finden, denn ich lernte sie leider nicht persönlich kennen. An manche Erzählung meines Vaters erinnere ich mich, vieles liegt allerdings vor meiner Zeit oder vor meiner Erinnerung. Ich sichtete die Fotos aus dem Nachlass meiner Mutter. Bei vielen Aufnahmen, die ich aufstöberte, fehlten leider Angaben zu Zeit und Ort. Die Unterlagen blieben häufig ohne Hinweis. Dies erschwerte die Annäherung an Johann Peter Schliebusch (geb. am 8. Januar 1880) und Catharina Schliebusch (geborene Breuer aus Witterschlick, geb. am 22. Januar 1879) erheblich.

Mit Hilfe des Stadtarchivs Bonn, welches das Personenstandsregister und die Kirchenbücher von Mehlem, wozu Lannesdorf in jener Zeit gehörte, vom Beginn des 20. Jahrhunderts an aufbewahrt sowie anhand von Zeitschriften und Kommentaren einiger Zeitzeugen gelang mir jedoch eine stichhaltige Rekapitulation der Zeiten meiner Großeltern. Je mehr ich mich in dieses Projekt vertiefte, desto klarer erinnerte ich mich an die Erzählungen meines Vaters aus frühester Kindheit. Meine Großeltern erschienen vor meinem geistigen Auge. Mich erstaunte selbst, was sich in den Untiefen meines Gedächtnisses fand.

Lannesdorf kann getrost als Dreh- und Angelpunkt im Leben meiner Großeltern bezeichnet werden; die eingeheiratete Verwandtschaft stammte aus Köln bzw. aus Quadrat-Ichendorf und Witterschlick. Die Familie lebte dort unweit des Zentrums zu viert: Großvater Johann Peter, Großmutter Catharina und die beiden Kinder Josef und Maria.
Meine Großeltern schilderte mir mein Vater als lebensfroh, vital und gesellig. Sie betrieben ein Geschäft, über das sie mit meinem Vater häufig sprachen. Ich stieß im Rahmen meiner Recherche auf Unterlagen, die belegen, dass mein Großvater einen Kolonialwaren-Großhandel betrieb. Er belieferte Einzelhändler in Lannesdorf und Umgebung.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass meine Großeltern zusätzlich einen kleinen Lebensmittelladen führten. Diese Annahme stützt sich auf meine zugegeben vagen Erinnerungen. Ich meine, dass mein Vater gelegentlich vom Laden seiner Eltern sprach und dies sich auf einen Raum in seinem Elternhaus bezog. Gesichert und belegt ist in jedem Fall, dass Lebensmittel im Mittelpunkt des Broterwerbs meiner Großeltern standen. In den gesichteten Unterlagen befindet sich ein Bogen mit einem Briefkopf, in dem die Firma meines Opas Johann Peter als »Lebensmittel-Großhandel« bezeichnet wird. Das Kerngeschäft bestand also definitiv im Großhandel; der Einzelhandel dürfte eine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Die Konzentration auf den Großhandel bestätigt auch, dass mein Großvater schon früh sein Faible für die Motorisierung entdeckte. Bereits 1925 war der ganze Stolz der Firma und der Familie ein Lastwagen. Auf diesem stattlichen Gefährt prangte die stolze Aufschrift:
»Johann Pet. Schliebusch Kolonialwaren Großhandl.«

Von diesem LKW gibt es gleich drei Aufnahmen. Eine davon ist sogar koloriert. Mit diesem Bild hat sich mein Vater, der gerne fotografierte und dieses Motiv aufnahm, sehr viel Mühe gegeben. Die Fotos weisen interessante Details auf. Beispielsweise sieht man auf einem Foto das Lenkrad auf der rechten (!) Seite. Insofern könnte es sich um ein britisches Importfahrzeug handeln. Anstelle der seitlichen Türen besaß das Auto schlichte Planen und die Reifen zeigten sich erstaunlich schlank. Auf dem gleichen Abzug sieht man im Hintergrund ein Margarine-Reklameplakat in Form eines Emaille-schilds, wie sie früher üblich waren. Wichtigstes Motiv auf einem anderen der drei Fotos ist mein Vater (damals 14 Jahre alt), der stolz vor dem Lastwagen steht. Das Motiv wurde am 27. Dezember 1925 aufgenommen, also zur Weihnachtszeit.

Die Aufnahme mit dem Lastwagen ließ man hinter dem Haus auf dem Firmenhof machen, da es davor keinen ausreichenden Parkplatz gab. Die Familie selbst allerdings nahm man vor dem Haus auf, wie ein anderes Foto zeigt.
Mein Großvater verfügte über Taktgefühl, wie mein Vater häufiger erwähnte. »Und er war ein großes Organisationstalent!« Dieser Satz über meinen Opa prägte sich mir ein wie kaum ein anderer.